Gemeinsame Presseinformation zur Rechtswidrigkeit von Überwachungsmaßnahmen beim Fanprojekt Leipzig

Gemeinsame Presseinformation zur Rechtswidrigkeit von Überwachungsmaßnahmen beim Fanprojekt Leipzig

12/03/2025 Aus Von Daniel Metz
 
  • Landgericht Dresden bestätigt final, dass die Telefonüberwachung eines Sozialarbeiters des Fanprojekts Leipzig im Jahr 2014 rechtswidrig war
  • 8 Jahre andauernder Rechtsstreit bringt endlich Klarheit über Grundrechtseingriff
  • Dachverbände problematisieren weiterhin Rechtsunsicherheit bei Mitarbeiter:innen – Soziale Arbeit muss besser geschützt werden

Der Fall ging durch die Medien. Im Zuge einer Strukturermittlung des Landeskriminalamtes Sachsen geriet auch ein sozialpädagogischer Mitarbeiter des Leipziger Fanprojektes als Beschuldigter ins Visier von Polizei und Staatsanwaltschaft. Insgesamt drei Jahre – von 2014 bis 2016 – lief ein sogenanntes Strukturermittlungsverfahren nach §129, der Bildung einer kriminellen Vereinigung, in dessen Kontext unterschiedliche strafprozessuale Maßnahmen Anwendung fanden. Unter anderem wurde das Telefon des Mitarbeiters im Rahmen einer TKÜ-Anordnung über mehrere Monate überwacht, tausende Gesprächsinhalte und Nachrichten wurden dabei erfasst, transkribiert und interpretiert. Im Fokus der Überwachung stand vor allem die pädagogische Beziehungsarbeit mit jugendlichen Fans der BSG Chemie Leipzig: die Fahrten zu Fußballspielen, die Organisation von Veranstaltungen und Workshops, sensible Einzelfallhilfen und bildungspolitische Angebote. Aber auch viele Aspekte aus dem „Kernbereich privater Lebensführung“, Gespräche mit Familie, Freundin, Kind und Alltagsleben wurden protokolliert und dezidiert ausgewertet.

Im Nachgang musste die zuständige Behörde hunderte Personen informieren, die als „Beifang“ mit ins Visier der Ermittler geraten sind: u.a.  Ärzt:innen, Anwält:innen, Sozialarbeiter:innen, Journalist:innen und Politiker:innen. Die Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte (BAG)  initiierten nach der Öffentlichmachung des Falls einen Offenen Brief unter dem Titel „Gegen die Kriminalisierung der Sozialen Arbeit mit Fußballfans“. Der Fall zog mehrere kleine Anfragen im Sächsischen Landtag nach sich und war u.a. Thema im Rechts- und Innenausschuss des Parlaments. Der sächsische Datenschutzbeauftragte kritisierte das Vorgehen der Ermittler:innen in seinem Jahresbericht und unterzog das Vorgehen von LKA und Staatsanwaltschaft einem Prüfverfahren.

Im Januar 2025 – also acht Jahre nachdem die Telefonüberwachung des Mitarbeiters vor den zuständigen Gerichten problematisiert wurde – entschied nun das Landgericht Dresden in einem abschließenden Beschluss, dass die damalige Maßnahme der Dresdner Staatsanwaltschaft klar rechtswidrig war. Der Mitarbeiter des Fanprojektes hätte nicht überwacht werden dürfen, der Ermittlungsansatz der Behörde war rückblickend nicht tragfähig. Zusätzlich hätte er viel eher über die stattgefundene TKÜ-Maßnahme informiert werden müssen, denn TKÜ-Maßnahmen sind schwerwiegende Eingriffe in die persönlichen Grundrechte. Das Gericht verweist in seine Begründung auf den beruflichen Kontext, auf das Berufsgeheimnis des Mitarbeiters und das besonders sensible Arbeitsfeld, in denen sich Mitarbeitende von Fanprojekten bewegen. Für den Kollegen des Fanprojektes in Leipzig ist das Urteil gleichsam eine enorme Erleichterung. Endlich ist der Rechtsstreit über das rechtswidrige Abhören beendet. Der lange Atem hat sich gelohnt.

Für die Fansozialarbeit im Speziellen, aber auch für viele andere Felder der Sozialen Arbeit ist das Urteil vor allem auch aus professionstheoretischer und berufsrechtlicher Sicht von Belang und Bedeutung. Der Fall steht neben anderen – wie zuletzt in Karlsruhe – für das potenzielle Risiko der Kriminalisierung der Sozialen Arbeit, die eben auch mit schwierigen und delinquenten Zielgruppen agiert. Polizeiliche Ermittler:innen, Richter:innen  und Staatsanwält:innen benötigen eine präzise Kenntnis über die spezifischen Momente Sozialer Arbeit. Nachhaltige sozialpädagogische Bemühungen und das Setzen von Veränderungsimpulsen können nur dann funktionieren, wenn sie in einem geschützten Rahmen stattfinden, in dem vertrauensvoll zwischen Pädagog:innen und Klientel agiert werden kann. Das professionelle Handeln von Sozialarbeiter:innen erfüllt im Kontext der gesetzlichen Maßgaben wichtige staatliche Aufgaben, hier die pädagogische Arbeit in der Lebenswelt von jungen Fußballfans: in Stadien, auf Reisewegen, an Treffpunkten oder einfach auf der Straße. Diese Tätigkeiten erfolgen theorie- und methodengestützt und auf der Basis einer werteorientierten Berufsethik, die ermöglicht, die Menschen in ihren Fähigkeiten, Potentialen und Ressourcen zu sehen und gleichzeitig eine kritische Distanz zu wahren.

Sozialarbeiter:innen hier zum Gegenstand von Ermittlungen zu machen, verkennt professionelles Handeln sowie gesellschaftlichen Auftrag und wirkt einer erfolgreichen Arbeit entgegen. Der Zustand der Unsicherheit, der sich durch die oben beschriebenen Exekutivmaßnahmen abbildet, stellt mittlerweile eine ernste Gefahr für das Arbeitsfeld dar. Seit einigen Jahren kämpft die Soziale Arbeit auf Bundesebene daher für eine Reform des §53 StPO, dem sogenannten Zeugnisverweigerungsrecht, und weist dezidiert auf den strafprozessualen Veränderungsbedarf hin. Die aktuelle Rechtsprechung zu den Ermittlungen gegen die Fansozialarbeit in Leipzig unterstreicht aus unserer Sicht noch einmal die Plausibilität und die Dringlichkeit, das Vertrauensverhältnis zwischen Sozialarbeiter:innen und Klientel mit der notwendigen rechtlichen Absicherung zu versehen.

Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte e.V.
Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) bei der Deutschen Sportjugend
Landesarbeitskreis Mobile Jugendarbeit Sachsen e.V.

Leipzig/Frankfurt am Main, 12. März 2025


Auswahl weiterführender Beiträge:

https://www.bag-fanprojekte.de/2017/12/19/gegen-die-kriminalisierung-der-sozialen-arbeit-mit-fussballfans/

https://www.spiegel.de/sport/fussball/ueberwachung-von-chemie-leipzig-anhaengern-big-brother-in-leipziger-fanszene-a-1150600.html

https://taz.de/Leipziger-Fanprojektmitarbeiter-im-Visier/!5399586/

https://www.11freunde.de/amateure/mit-allen-mitteln-a-a6388d80-0004-0001-0000-000000537145

https://www.fanprojekt-leipzig.de/ueberwachung-von-leipziger-fussballfans-auch-fuer-das-fanprojekt-eine-herausforderung/

Für Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung:

Antje Hagel
Michael Gabriel und Philipp Beitzel
Georg Grohmann
Sprecherin der BAG der Fanprojekte
KOS
LAK Mobile Jugendarbeit Sachsen e.V.
antje.hagel@bag-fanprojekte.de
gabriel@dsj.de
grohmann@mja-sachsen.de
 
mobil: +49 171 8120848
mobil: +49 1577 14 18 265
 
beitzel@dsj.de
 
 
mobil: +49 178 4935361 
 

Die Pressemitteilung als pdf: